Meine erste Berührung mit Russisch hatte ich im Jahr 1997. Ich habe mein Abitur an einer Waldorfschule gemacht und da viele Waldorfschulen eine besondere Affinität zum Russischen haben, ist an meiner Schule Russisch als zweite Fremdsprache vorgesehen. Und nicht nur das: um den Kindern einen frühen und spielerischen Zugang zu den Fremdsprachen zu bieten, beginnt der Englisch- und Russischunterricht dort bereits in der ersten Klasse. Im ersten Jahr hörten wir viele russische Märchen und Geschichten (auf Deutsch) und malten dazu Bilder mit Wachsmalstiften in unser Russischheft. In meinem Heft finden sich etwa die dreibeinige Hütte der Baba Yaga und der Ded Moroz. Hinzu kamen dann irgendwann Lieder und kleine Sprüche. In den ersten vier Jahren sollen die Schüler*innen behutsam in die Sprache eintauchen ohne viel über die sprachlichen Strukturen zu lernen. Der strukturelle Sprachunterricht erfolgt dann ab Klasse 5 und zieht sich bis zum Abitur. So habe ich etwa Russisch als Leistungskurs gewählt und meine Abiklausur über Solschenizyn geschrieben. Das Fach Russisch war für mich meine gesamte Schulzeit eng an meinen grandiosen Russischlehrer gekoppelt; ein erfahrener Lehrer mit unschätzbaren Mengen an handgeschriebenem Unterrichtsmaterial, liebevoll selbst illustrierten und auf der Schreibmaschine getippten Geschichten wie «Три медведя». Auch wenn sich sein Unterricht mehr auf die Vermittlung der grammatischen Strukturen und der Lexik als auf die kommunikative Kompetenz versah, so war es die herzliche und geduldige Art des Lehrers, die diesen trockenen Unterrichtsgegenstand belebte.
Nach dem Abitur wollte ich den Praxistest wagen und habe über unseren Nachbarn Kontakt zum Leiter des russischen Goetheinstituts aufgenommen, der mir ein dreimonatiges Praktikum in den Außenstellen in Perm und Nischny Nowgorod vermittelte. So kam ich an einem heißen Sommernachmittag Anfang August 2010 auf dem Moskauer Flughafen an und kämpfte mich bis zum Bahnhof durch, wo ich meinen Zug verpasste. Die Frau am Fahrkartenschalter verstand mein Russisch nicht und schloss ihr Fenster. Ein erster Praxistest meiner Russischkenntnisse war fehlgeschlagen. Der Verzweiflung nahe sprach mich ein junger Soldat an und mit Händen, Füßen und meinem Taschenwörterbuch konnten wir uns doch irgendwie verständigen und er hämmerte gegen den nun geschlossenen Schalter der Frau, um mir ein neues Ticket zu kaufen. 22 Stunden später kam ich Perm an und wurde am Bahnsteig von meiner Kollegin Sascha abgeholt, bei der ich die kommenden zwei Monate leben durfte. Die Zeit in Russland hat mich sehr geprägt: Ich habe viele gastfreundliche, herzliche und gute Menschen kennengelernt, die mich ohne Vorurteile von der ersten Sekunde an willkommen geheißen, geholfen und geschätzt haben. Auch habe ich unsagbar viel kulturelles Wissen über Russland sammeln können, da meine Kollegin ihren Alltag, ihr Bett, ihr Essen mit mir teilte und mich überall mit hingenommen hat, so etwa auf die Datscha oder am Wochenende zum Mittagessen zu ihrer Mutter. Aber ich habe erkennen müssen, dass mein Schulrussisch weit entfernt vom gesprochenen Russisch ist und es für mich harte Arbeit ist, an realen Gesprächen im Zielsprachenland teilzunehmen. Ich übte und übte und machte ganz langsame Fortschritte.
Im Oktober 2011 habe ich mich für die Fächer Russisch und Deutsch an der Universität Kiel eingeschrieben und mein Plan stand fest: ich möchte Russischlehrerin werden und den Schüler*innen alles an die Hand geben, damit sie sich in einem russischsprachigen Land gut und sicher verständigen können. Leider musste ich an der Uni in den Sprachanfängerkurs und war zunächst stark unterfordert. Irgendwann schlug das Pendel dann um und ich war neben den vielen Herkunftssprecher*innen dann häufig überfordert, so etwa in den Modulen Fachsprache oder Morphologie. Aber nach dem fünfjährigen Studium und einigen weiteren Aufenthalten und Reisen nach Russland bin ich nun Referendarin und unterrichte mit viel Freude Russisch.